Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 92/2010 vom 12. Oktober 2010 

Beschluss vom 29. September 2010  

– 1 BvR 1789/10 –

Erfolglose Verfassungsbeschwerde einer Tankstellenpächterin gegen das nächtliche Alkoholverkaufsverbot in Baden-Württemberg

Der am 1. März 2010 in Kraft getretene § 3a des Gesetzes über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg (LadÖG) untersagt den Verkauf von alkoholischen Getränken in Ladengeschäften aller Art, darunter auch Tankstellenshops, in der Zeit von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr. Ausgenommen von dem Verkaufsverbot sind Hofläden und Verkaufsstellen von landwirtschaftlichen Genossenschaften und Betrieben sowie auf Verkehrsflughäfen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, die in Baden-Württemberg eine Tankstelle einschließlich „Tankshop“ gepachtet hat, die Verletzung ihres Grundrechts auf Berufsfreiheit sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes.

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen. Insbesondere verletzt das zeitlich begrenzte Verbot des Alkoholverkaufs die Beschwerdeführerin nicht in ihren Verfassungsrechten.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die beschränkende Verkaufsregelung greift zwar in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin ein. Sie erfüllt aber die Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Normen. Als Regelung der Gefahrenabwehr fällt sie in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers und trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Der Landesgesetzgeber verfolgt mit der Neuregelung die gewichtigen Gemeinwohlziele, einem vor allem während der Nachtzeit zu verzeichnenden Alkoholmissbrauch und dadurch bedingten Straftaten und Ordnungsstörungen sowie Gesundheitsgefahren zu begegnen.

Die Annahme des Gesetzgebers, dass die tageszeitliche Einschränkung der Erwerbsmöglichkeiten zu einer Verringerung der mit einemmissbräuchlichen Konsumverhalten einhergehenden Gefahren führt, ist nicht zu beanstanden. Es ist naheliegend, dass durch eine Begrenzung der zeitlichen Verfügbarkeit von Alkohol der vermehrte Konsum und die damit einhergehende Entstehung von Szenetreffs, insbesondere an den nicht privilegierten Verkaufsstellen wie Tankstellen und Kiosken, eingedämmt werden kann.

Weder eine Beschränkung des Verkaufverbots auf bestimmte alkoholische Getränke noch eine Einschränkung des Verbotszeitraums wären mildere Mittel, die die Erforderlichkeit der angegriffenen Regelung entfallen lassen könnten, da sie nicht in gleichem Maße wirksam wären. Dies gilt auch für einzelfallbezogene polizeirechtliche Maßnahmen, da diese voraussetzen, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bereits eingetreten ist. Ferner würden lokal begrenzte Alkoholkonsumverbote in Form von Polizeiverordnungen lediglich zu einer örtlichen Problemverlagerung führen.

Angesichts des bezweckten Schutzes hochrangiger Gemeinschaftsgüter steht die angegriffene Regelung in einem angemessenen Verhältnis zu den grundrechtlich geschützten Belangen der Beschwerdeführerin. Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Nichtraucherschutz und der geforderten folgerichtigen Umsetzung des gewählten Schutzkonzepts. Denn die dortige Ausgangssituation ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Der Landesgesetzgeber hat Ausnahmen vom nächtlichen Verkaufsverbot für bestimmte privilegierte Verkaufsstellen vorgesehen, weil er diesen gerade kein identisches Gefährdungspotential beimaß. Sämtlichen privilegierten Verkaufsstellen ist gemein, dass regelmäßig nicht nur der Erwerb, sondern gerade der Konsum der alkoholischen Getränke in einem Umfeld stattfindet, das durch einen höheren Grad an sozialer Kontrolle und teilweise auch der Kontrolle durch anwesende Ordnungskräfte gekennzeichnet ist. Demgegenüber findet beim Erwerb von Alkoholika in Tankstellen und Supermärkten der Konsum< häufig an Örtlichkeiten im öffentlichen Raum an so genannten Szenetreffs statt, an denen sich die Konsumenten gerade keiner derartigen Kontrolle ausgesetzt fühlen.

Vor diesem Hintergrund verletzt das angegriffene Alkoholverkaufsverbot auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein sachlicher Grund für die vorgenommene Differenzierung von privilegierten und nicht privilegierten Verkaufsstellen liegt gerade in dem nachvollziehbar begründeten unterschiedlichen Potential der Verkaufsstellen, zur Bildung von Szenetreffs und missbräuchlichem Alkoholkonsum sowie den mit diesem verbundenen gefährlichen Begleiterscheinungen beizutragen.